TACHELES BERLIN
QUELLE:
http://www.dhm.de/museen/berlin-mitte/tacheles.htm
Vom Kaufhaus zum Kunsthaus
Friedrichstrassen-Passagen - AEG-Haus der Technik
- Kunsthaus Tacheles
Das Kunsthaus TACHELES in der Oranienburger Straße ist seit
Jahren auch über Berlin hinaus zum Begriff geworden. Weniger
bekannt dürfte die Vorgeschichte des Gebäudes sein, die das
Museum Mitte von Berlin in seiner Ausstellung vom 16.4. bis zum
26.9.1999 vorgestellt hat. Anhand von Photographien, Plänen,
Dokumenten und Originalobjekten wurde die Bau- und
Entwicklungsgeschichte dieses verschwundenen Monumentalgebäudes
auf den Grundstücken Friedrichstraße 110-112/ Oranienburger
Straße 54-56a anschaulich dargestellt. Befunde einer
baugeschichtlichen Untersuchung, welche die Bauhistorikerin
Michaela van den Driesch 1998 im Auftrag des Landesdenkmalamtes
Berlin durchführte, bildeten die Grundlage der Ausstellung -
eine Reihe der Forschungsergebnisse waren auch als Bestandteil
der Ausstellung zu sehen. Auf den folgenden Seiten wird diese
Ausstellung dokumentiert.
Passage-Kaufhaus
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg - in den sogenannten
Gründerjahren von 1871 bis 1874 - begann in Berlin eine Zeit
stürmischer wirtschaftlicher und baulicher Entwicklungen. Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts entstanden durch diese Verstädterung
und den Zuzug vieler Menschen neue Formen des Einzelhandels,
deren Höhepunkt im Warenhausbau lag. Dessen baugeschichtliche
Wurzeln sind ebenso wie die der Passagen in den orientalischen
Basaren und den Kaufhallen des Mittelalters zu suchen.
Das erste Warenhaus Berlins wurde 1894 als Vertreter eines
eigenen neuen Bautyps mit einem glasüberdachten Lichthof als
Mittelpunkt von Wertheim in der Oranienstraße eröffnet. Bereits
1897 folgte das zweite Warenhaus Wertheims in der Leipziger
Straße. Dessen Architekt Alfred Messel hatte mit diesem Bau eine
wahrhafte "Kathedrale des Handels" geschaffen, die zum
maßgeblichen Vorbild aller Geschäftshäuser nach 1900 werden
sollte.
Ein Jahrzehnt nach dem Bau dieses Warenhauses wurde die
Friedrichstraßen-Passage errichtet. Man versuchte hier sowohl
das Prinzip eines Warenhauses als auch das einer Passage in einem
Bau zu vereinigen. In seiner Erbauungszeit 1907- 1908 war er nach
der Kaisergalerie Unter den Linden der zweite bedeutende
Passagebau in Berlin und die letzte große Passage Europas. Die
als Konkurrenzunternehmen der Einzelhändler zu den großen
Warenhäusern gedachte Vereinigung des Detailhandels unter einem
gemeinsamen Dach drückte sich auch in der eigenständigen
architektonischen Form aus. Die vielen kleinen Geschäfte, deren
Vereinigung das vom Initiator des Unternehmens, Otto Markiewicz,
geplante Spezialwarenhaus darstellte, sollten deshalb optisch
nicht voneinander getrennt werden, wie es bei der Passage
normalerweise der Fall war. Vielmehr sollten alle Räume, wie in
den anderen führenden Warenhäusern, ineinander übergehen. Die
Mieten wurden je nach Lage und Gewinn der einzelnen Betriebe
gestaffelt. Deshalb wurden alle Geschäfte über eine zentrale
Kassenstelle kontrolliert, deren Rohrpostanlage mit einer
Gesamtlänge von 21000 m die größte in Europa war. Mit dem
imposanten Gebäude - eine Investition von 7 Millionen Goldmark -
versprachen sich die Mieter der Passage erhebliche Umsatz- und
Gewinnsteigerungen. Im Zuge der sich in ganz Deutschland nach
amerikanischem Modell verbreitenden neuartigen
Wirtschaftsorganisation sollte die Friedrichstraßen-Passage ein
Musterbeispiel für die Zukunft abgeben.
Der Architekt dieses Baukomplexes, der Kaiserliche Baurat Franz
Ahrens, nahm die als modern und bahnbrechend geltenden
Messelschen Formen des Warenhauses Wertheim am Leipziger Platz
zum Vorbild seines Entwurfes für die Friedrichstraßen-Passage.
Er steigerte die Monumentalität noch durch einen
überdimensionierten Kuppelbau aus Stahlbeton. Mit der
architektonischen Gliederung der beiden Torbauten der
Friedrichstraßen-Passage zitierte er einen der Vorentwürfe für
Messels Kopfbau am Leipziger Platz aus dem Jahr 1904.
Ludwig Hoffmann, Stadtbaurat von 1896 bis 1924, kommentierte auf
der Bauausstellung von 1907 das genehmigte Modell der
Friedrichstraßen-Passage gegenüber seinem Freund und Kollegen
Alfred Messel als "Radaumodell". Eine zeitgenössische
Beschreibung bezeichnet diese Monumentalität insgesamt als
"cyklophaften" Baustil; der Begriff ging dann
tatsächlich in die Kunstgeschichte als "Zyklopenstil"
ein.
Das Relikt der Friedrichstraßen-Passage an der Oranienburger
Straße mit seinem monumentalen Eingangsportal ist das letzte
erhaltene Bauwerk dieses Stils bei einem Geschäftsgebäude in
Berlin. Alle Warenhausbauten dieser Form sind heute aus dem
Stadtbild verschwunden bzw. nur noch fragmentarisch erhalten - so
etwa das ehemalige Warenhaus Wertheim von 1904 in der Rosenthaler
Straße.
Das von Markiewicz entworfene Verkaufsmodell in der neuen, auch
heute noch für amerikanische shopping-malls"
aktuellen Organisationsform, versagte jedoch im Berlin der
Kaiserzeit. Bereits ein halbes Jahr nach der Fertigstellung der
Bauanlage im August 1908 mußte das Passage-Kaufhaus Konkurs
anmelden. Wolf Wertheim mietete den gesamten Komplex im Frühjahr
1909 an und eröffnete hier ein Warenhaus. Jedoch blieb auch
diesem Unternehmen der dauerhafte Erfolg versagt: die hohen
Mietforderungen der Eigentümergesellschaft führte Anfang 1914
ebenfalls zur Geschäftsaufgabe.
Bis zum Jahre 1924 gibt es keine erhaltenen Unterlagen über den
Werdegang der Friedrichstraßen-Passage. Erst wieder aus dem Jahr
1924 ist eine Zeichnung vom Einbau des Tiefkellers, unterhalb des
heute noch erhaltenen Traktes in der Oranienburger Straße,
erhalten geblieben. Dieser wird in den späteren Gutachten mit
Tresorraum" bezeichnet. Aus der Zeichnung geht hervor,
daß in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg umfangreiche Um- und
Ausbauarbeiten stattgefunden haben müssen. Die Höhe der Passage
wurde bis zu den Schaufenstern im Erdgeschoss mittels einer
Stahl-Glas-Konstruktion herabgezogen. Durch die Reduzierung der
Deckenhöhe des Passagenraumes wurde der Eindruck der ehemaligen
Friedrichstraßen-Passage vollkommen verändert.
Die Friedrichstraßen-Passage war der erste große Eisenbetonbau
in Deutschland, der nach der neuen Bauordnung von 1907 errichtet
wurde. Der gesamte Komplex der Passage wurde in der erstaunlich
kurzen Bauzeit von 15 Monaten vollendet; dies war nur durch die
Anwendung der neuen Konstruktionsweise in Eisenbeton möglich.
Der Neubau einer solchen Passage bedeutete einen gewaltigen
Fortschritt und war damit bahnbrechend für die Verwendung des
Eisenbetons bei monumentaler Baukunst, die in den folgenden
Jahren für Berlin so wichtig werden sollte. Nicht nur
Fundamente, Decken und Stützen, sondern auch sämtliche Dächer
wurden massiv in armiertem Beton ausgeführt. Die Straßenfronten
des Gebäudes wurden als sogenannte Vorhängefassade"
ausgeführt: das Natursteinmauerwerk und die schmückenden
Bronzeelemente hingen vor der Hintermauerung aus Ziegeln.
Monumentale Torbauten akzentuierten die Eingänge. Die bis zum
obersten Stockwerk des insgesamt fünfgeschossigen Gebäudes
hinaufreichenden kolossalen Rundbögen konnten nur durch die
moderne Konstruktionsweise in dieser Form ausgeführt werden. Mit
großer Eleganz wurde der moderne Eisenbetonskelettbau mit der
historisierenden Steinhülle verknüpft, so daß die
Monumentalität der Torbauten deutlich die Erinnerung an
mittelalterliche Stadttore weckte. Verstärkt wurde der Eindruck
des Monumentalen durch die strenge Vertikalgliederung des
gesamten Gebäudes durch Pfeiler und Stege, die die über der
Erdgeschosszone zurückspringenden Gebäudeteile rhythmisch
gliederten. Das vorgezogene Erd- und Zwischengeschoss war durch
eine galerieartige Brüstung nach oben abgeschlossen, auf deren
Postamenten laternenartige, in Kupfer getriebene Aufsätze
standen. Die Schaufenster bestanden - wie auch die Eingangstore -
sämtlich aus Bronze. Während die Fassaden der inneren Passage
bis zur Höhe des 1. Obergeschosses wie die Außenfassaden eine
komplette Werksteinverkleidung aus grau-gelblichem
Muschelkalkstein zeigten, waren sie in ihren oberen Stockwerken
zum Teil unbekleidet - d. h. die rohe, rötlich gefärbte
Eisenbetonfläche war nur mit Scheinfugen versehen worden.
Teilweise erhielten diese Flächen aber auch Plattenbekleidung in
Marmor oder Majolika und gaben damit dem Ganzen, trotz der rohen
Eisenbetonbauweise, ein repräsentatives Äußeres. Der Fußboden
war mit Fliesen belegt.
In den Torbögen befanden sich in den unteren Geschossen je eine
von Kreuzgratgewölben überspannte Halle sowie ein
brückenartiger Übergang. Die Eingänge, die von der Brücke in
den Innenraum der Passage an der Oranienburger Straße führten,
waren von je zwei überlebensgroßen Steinskulpturen flankiert,
während der Torbogen Friedrichstraße über keinen skulpturalen
Schmuck verfügte. Die Brücke innerhalb der Passage erinnerte an
die Brücke in Venedig und erhielt deshalb den Namen
"Rialtobrücke".
Ein absolutes Novum der Baukonstruktion war die Anwendung des
Eisenbetons bei der weitgespannten Kuppel. Sie war als eine in
Rippen vollständig aufgelöste Glaskuppel gestaltet, so daß der
Charakter einer offenen Halle gewahrt blieb. Eine besondere
Lichtwirkung wurde durch die bläuliche Färbung des Drahtglases
erzielt. Diese stand im deutlichen Kontrast zu den eingefärbten
Wänden der Passagendurchgänge, durch die das Licht eine
rötliche Färbung annahm. Die Glaskuppel wies inklusive der
Laterne eine Höhe von 48 m und einen Durchmesser von 28,5 m auf.
Der Kuppelraum wurde durch ein kräftig gemustertes
Mosaikpflaster als Zentrum des Gebäudes besonders hervorgehoben.
An den 14 Meter hohen Bögen, die die Eingänge zu den 13 Meter
breiten Passagenarmen bildeten, waren Statuen aufgestellt. Die
Allegorien des weltumspannenden Handels - Amerika, Afrika, Asien
und Australien - schuf der Bildhauer Richard Kühn.
Über den beiden großen Freitreppen aus Marmor, die an der Nord-
und Südseite des Kuppelsaals in die Sonderräume der Belle-Etage
führten, befanden sich reitende Figuren des Bildhauers Pritel.
Unter diesen Freitreppen führten Eingänge in die prachtvoll
ausgestatteten Vestibüle. Das nördliche Vestibül war mit einem
reichen Marmorbrunnen ausgestattet, das südliche mit Goldmosaik
an Säulen und Wandflächen dekoriert.
Sondersäle und
Infrastruktur
Eine große Attraktion stellten die ausgesprochen luxuriös
ausgestatteten Sonderräume der Passage dar. Sie sollten den
Ladenmietern als besondere Räumlichkeiten zur Verfügung stehen,
damit in dieser künstlerisch aufwendig gestalteten Umgebung
Verkaufsausstellungen durchgeführt werden konnten. Von
besonderer Pracht waren die beiden Verkaufssäle in den
Torbauten. An der Friedrichstraße lag ein mit erlesenen Hölzern
verkleideter und farbigen Fenstern ausgestatteter
zweigeschossiger Saal zur Präsentation von Musikinstrumenten,
der auch die Möglichkeit zu Konzertveranstaltungen bot. Den
Hauptstimmungsfaktor dieses Raumes bildete das auf Gold- und
Silbergrund gemalte große Fenster, dessen Ausführung und
Bildmotiv - Frauengestalten mit Musikinstrumenten - viel Resonanz
fanden. Im Torbau Oranienburger Straße war der entsprechende
Saal als maurische Moschee gestaltet, da hier Teppiche angeboten
wurden. Über die nördliche Freitreppe des Kuppelraumes gelangte
man in ein mit Travertinplatten ausgestaltetes Vestibül. Dieses
bildete den Auftakt zu einer Folge von drei
hintereinanderliegenden Sondersälen:
Roter und Blauer Saal
Im sogenannten "Blauen Saal" waren die Wände im
unteren Teil mit blauem Samt bespannt, die oberen Wandflächen
des 7,5 m. hohen Raumes mit völlig neuartigen
"Silhyo"-Platten aus Glasfluss verkleidet. Ein Erker in
Bronze, Fenster mit geschmackvoller Bleiverglasung, eine reizvoll
gemalte Decke und ein gemusterter Holzmosaikfußboden
vervollständigten das Interieur dieses Raumes.
Durch zwei breite rundbogige Öffnungen gelangte man in den
"Roten Saal", der nach Art einer englischen Halle in
seiner ganzen Höhe mit einer Wandvertäfelung aus Mahagoniholz
versehen war. Besondere Aufmerksamkeit verdienten hier die
Wandbeleuchtungskörper. Eine ebenfalls in Mahagoni ausgeführte
Galerie sowie eine reichbemalte, in hellen Tönen gehaltene Decke
und das zierliche Muster des Holzmosaikfußbodens
vervollständigten das Bild dieses Innenraumes
Gelber Saal
Durch ein in Mahagoniholz getäfeltes Vestibül erreichte man
schließlich den "Gelben Saal", der sich mit seinen
Fenstern zur Oranienburger Straße hin öffnete. Der Raum wies
eine Höhe von ca. 7,50 m auf und erstreckte sich über 2
Geschosse. Die Pfeiler der Empore waren mit gelbem Siena-Marmor,
der dem Saal seinen Namen gab, bekleidet und mit Ein- und
Auflagen aus Bronze geschmückt. Auf der Empore gruppierten sich
die halbrund nach vorn gewölbten Anprobekabinen der
Damenkonfektionsabteilung. Sie und alle weiteren auf der Galerie
angeordneten Holzeinbauten waren aus hellpoliertem Eichenholz
gefertigt. Zierliche Lampengehänge und zahlreiche Spiegel
vervollständigten die Wirkung dieses Raumes, in dem neben Hüten
auch luxuriöser Damenputz und modische Accessoires angeboten
wurden.
Der ehemalige "Gelbe Saal" dient heute als Theatersaal
des TACHELES.
Warentransport
Der Transport der Waren wurde durch ein vertikales, horizontales
und rotierendes System ermöglicht. Vom Keller aus wurden die
Waren auf einem Gurtconveyer zu einer Zentralstelle unter dem
zentralen Kuppelraum befördert und von dort erfolgte die
Expedition.
Rohrpostsystem
Im Erdgeschoss, im Zentrum des Komplexes neben dem Kuppelraum,
befand sich der große Zentralkassenraum. Von hier aus wurden die
150 Kassen des gesamten Betriebes durch eine pneumatische
Rohrsystemanlage bedient. Von jeder Verkaufsstelle führten je
zwei Messingrohre von 50 mm Durchmesser zur Zentrale. Geld und
Kassenbon wurde in einer Patrone mittels Luftdruck in wenigen
Sekunden zur Zentralkasse befördert. Dort erfolgt die Abrechnung
und der Bon mit dem Wechselgeld wurde durch das zweite Rohr
wieder zurückgesandt. Die Messingförderrohre waren in einer
Gesamtlänge von 21.000 m an der Kellerdecke verlegt und stiegen
von dort senkrecht in die Stockwerke auf.
AEG-Haus
der Technik
Am 25.9.1927 wurden die Schau- und Verkaufsräume der AEG in der
Luisenstraße 35 durch Feuer zerstört. Als Ort der neuen
Präsentation der Ausstellungsstücke wählte man das
nahegelegene ehemalige Passage-Kaufhaus, das durch seine Größe
neben den Ausstellungsflächen für die AEG-Beleuchtungskörper
GmbH auch Raum zur Unterbringung des Installationsbüros bot. An
der Friedrichstraße wurden zusätzlich die 1. und 2. Etage
angemietet. Die AEG-Abteilungen belegten 20 Schaufenster im
Erdgeschoss des Gebäudekomplexes, dazu kamen Verkaufs- und
Büroräume auf einer Fläche von insgesamt 10500 m2. In den
ehemaligen Sonderräumen (Blauer, Roter und Gelber Saal)
eröffnete man Ausstellungen, in denen die vielfältige
elektrotechnische Produktpalette des Unternehmens präsentiert
wurde.
Mit dem Einzug der AEG in das frühere Passage-Kaufhaus entstand
ein Sammelpunkt für den Markt der Berliner Maschinen- und
Elektroindustrie. Die Berliner Commerz- und
Privatbank" als Inhaberin des Gebäudekomplexes benannte
deshalb die Friedrichstraßen-Passage in "Haus der
Technik" um. Der Passagenraum selbst war zur
Friedrichstraße hin bereits bei dem Umbau von 1923/24 neu
gestaltet worden. Die Höhe der Passage wurde mittels einer
Stahl-Glas-Konstruktion bis zu den Schaufenstern im Erdgeschoss
reduziert, was den Eindruck der ehemaligen
Friedrichstraßen-Passage vollkommen veränderte. Die
langgestreckte Passage glich nun einer breiten Verkehrsstraße
mit vielen Schaufenstern und Schaukästen. Von der AEG wurden im
Durchgang der Passage zusätzlich Vitrinen aufgestellt, in der
die Metallwerke Oberspree ihre Produkte präsentierten.
Zu beiden Seiten des Passageeingangs an der Friedrichstraße
waren im Erdgeschoss die Verkaufsräume der Abteilungen
Beleuchtungskörper und das sogenannte Installationsbüro
untergebracht. Dort konnten die Interessenten jede gewünschte
Auskunft über Leitungsverlegung, Heiz- und Gebrauchsapparate,
Kraftantriebe, Beleuchtungsanlagen usw. an zentraler Stelle
erhalten. Neben dem Installationsbüro Berlin, der
AEG-Beleuchtungskörper GmbH und der Stadtabteilung Norden waren
später auch die Lichtreklame-Vertrieb GmbH, die Metallwerke
Oberspree und die AEG-Deutsche Werke AG hinzugekommen. Als
besonderer Service wurde eine Kundenberatung in einem eigens
dafür hergerichtetem lichttechnischen Vorführraum angeboten.
Daneben bot man Schaukochen und Vorführungen über den Umgang
mit modernen technischen Geräten in speziell dafür
eingerichteten Räumlichkeiten an.
Die Kennzeichen der angebotenen Produkte waren Sachlichkeit
und Schönheit" im Sinne des zeitgenössischen Stils der
Neuen Sachlichkeit", der auch die Gestaltung der
Ausstellung prägte. Die zeitgemäße Devise der harmonischen
Verschmelzung von Form und Inhalt galt auch für die
architektonische Gestaltung der Schauräume. An der Garderobe-,
den Anmelde- und Verwaltungsräumen vorbei führte der von zwei
Freitreppen eingefasste Eingang im Kuppelraum der Passage in das
Innere der Ausstellung. Auch dort waren die Türgewände mit
einer horizontal gegliederten und indirekt beleuchteten
Stahl-Glas-Verkleidung neu gestaltet. Die gesamte
Ausstellungsfläche umfasste drei große Säle mit
Verbindungsräumen und einen großen Vortragsraum, dem ehemaligen
Gelben Saal" der Friedrichstraßen-Passage.
Die Außenfassade erhielt durch drei riesige Buchstaben des
AEG-Firmenlogos ein völlig neues Aussehen. Die neuinstallierte
Beleuchtungsanlage brachte insbesondere abends und nachts das
Gebäude zur Geltung. Zu bestimmten Anlässen, wie etwa der
Veranstaltungsreihe Berlin im Licht", wurden die
monumentalen Architekturformen des Torbogens der alten Passage
durch Lichtinstallationen wieder hervorgekehrt und damit zu neuem
Leben erweckt.
Die Passage in
der Nachkriegszeit
1945 bis 1990
Wie fast alle Bauten Berlins wurde auch die
Friedrichstraßen-Passage im 2. Weltkrieg stark beschädigt. Die
Zerstörungen waren vor allem auf Beschuss und daraus entstandene
Brandeinwirkungen zurückzuführen. Jedoch war zu Kriegsende ein
großer Teil des Gebäudekomplexes noch in relativ gutem Zustand.
Nach 1945 konnte deshalb die Hälfte aller Fläche der ehemaligen
Passage sofort provisorisch für eine Nutzung wieder hergerichtet
und partiell vermietet werden - u. a. an das Deutsche Reisebüro,
die Artistenschule, eine Hundeschuranstalt, an verschiedene
Handwerksbetriebe, Büroräume von RFT, Fachschule für
Außenwirtschaft etc. Im Torbau der Friedrichstraße eröffnete
das erste Kino "Camera". Als der schlechte Bauzustand
des provisorisch untergebrachten Kinos Ende der fünfziger Jahre
keine Nutzung mehr erlaubte, wurde der ehemalige Vortragssaal der
AEG - heute Theatersaal des Kunsthauses Tacheles in der
Oranienburger Straße - zum Kino ausgebaut. Dieses wurde unter
dem neuen Namen "OTL" - Oranienburger Tor Lichtspiele -
eröffnet. Im Jahr 1958 kam es deshalb bei dem an der
Oranienburger Straße gelegenen Gebäudeteil zu umfangreichen
Umbau- und Sicherungsmaßnahmen. Die Umwandlung des ehemaligen
Vortragsaales der AEG zum OTL-Lichtspieltheater erforderte
darüber hinaus Veränderungen an der Fassade, die Schaffung
eines Kassenbereiches und eines Foyers. Von diesem wurde ein
Deckendurchbruch zum Zwischengeschoss angelegt und der
Treppenaufgang eingebaut, der heute noch den Haupteingang zum
Kunsthaus Tacheles bildet. 1972 wurde das Kino erneut umgebaut
und erhielt danach die alte Bezeichnung Kino "Camera"
zurück.
Die jahrelange intensive Nutzung der Räume - ohne ausreichende
Sanierung - verursachte Schäden am Gebäude, die als Spätfolgen
für die Passage größere Auswirkungen hatten als die
ursprünglichen Kriegsschäden selbst. 1977 wurden deshalb
mehrere Gutachten erstellt, die über eine mögliche Sanierung
oder den Abriss der Ruine Aufschluss geben sollten. In allen
Stellungnahmen befürworteten die Gutachter den Abriss. Der
Gebäudekomplex an der Oranienburger Straße mit dem Kinosaal
wurde jedoch in seiner Substanz als relativ gut erhalten
bezeichnet. Deshalb empfahl man, diesen Bauteil als letzten
Abschnitt abzureißen, damit der Betrieb des Kinos
"Camera" möglichst lange aufrecht erhalten werden
konnte
Im Jahr 1980 wurde aufgrund des schlechten Bauzustandes und vor
allem aufgrund der Planung einer neuen Verbindungsstraße, die
eine Verkürzung von der Oranienburger zur Friedrichstraße
herstellen sollte, mit dem Abriss der ersten Gebäudeteile in der
Friedrichstraße begonnen. Dies erfolgte durch partielle
Sprengungen und aufgrund der angrenzenden Bebauung zu großen
Teilen auch manuell.
1982 wurde schließlich der noch vollständig erhaltene Kuppelbau
gesprengt und das Kino "Camera" in der Oranienburger
Straße geschlossen. Da sich der Abriss und die
Entsorgungsarbeiten sehr lange hinzogen, blieb der letzte Flügel
des Gebäudes in der Oranienburger Straße bis nach der Wende
1989 erhalten.
Sprengung Passagenteil Friedrichstraße und Kuppelbau (1982)
Sammlung Museum Mitte von Berlin Berlin
Am 13. Februar 1990 wurde dieser Teil der Passage besetzt. Die
Besetzer, die sich als Künstlerinitiative Tacheles (jiddische
Bezeichnung für "Klartext" reden) bezeichneten,
meldeten durch ihren Rechtsanwalt den Denkmalverdacht des Hauses
an, um eine Sprengung dieses kulturhistorisch bedeutsamen
Gebäudes zu verhindern. Das Tacheles stellte bereits im März
einen Dringlichkeitsantrag am Runden Tisch, der die für den 10.
April 1990 anberaumte Sprengung in letzter Minute verhinderte.
Neue Gutachten wurden erstellt und seit Oktober 1990 steht der
noch verbliebene Rest der Friedrichstraßen-Passage unter
Denkmalschutz
Kunsthaus Tacheles
Im 1992 erschienen Fotoband "Tacheles - Alltag im
Chaos" wurden erstmals die Anfänge des Kunsthauses Tacheles
detaillierter beschrieben. Die Besetzung der Restruine der
Friedrichstraßen-Passage wird darin als ein Akt dargestellt, der
einen neuen Gründungs- und Besetzergeist im rechtsfreien Raum
der ehemaligen DDR aufleben ließ. Wie die Publikation ausführt,
war die Besetzung zunächst von Künstlern aus dem Ostteil
Berlins ausgegangen. ..Dazu kamen Leute mit
Besetzererfahrungen aus dem Westteil der Stadt. Sie
beschleunigten die praktische Annexion des Gebäudes, äußerten
Revieransprüche mittels bemalter Fassaden und fertigten Symbole
kulturellen Eigenlebens....Eingebaut in den symbiotischen
Organismus aus Ruine und rekultiviertem Funktionsbereich sind
Fundstücke, verwertbarer Zivilisationsmüll, geschieht die
Einverleibung und die Gestaltung der Räume mit Farbe,
Installationsbau unter Verwendung von Schrott, Teer, Sand,
Federn, Schaumgummi und anderen Materialien, entstehen
vergängliche Skulpturenvironments..."
Die jungen Künstler der sogenannten dritten
Generation", die nach der Wende wie in einem Zeittunnel in
der Ruine an der Oranienburger Straße den von den Großvätern
zurückgelassenen Nachkriegszustand, eine Art lokale Stunde
Null" in materialisierter Form vorfanden, begannen den dort
abgelagerten Kriegs- und Wendemüll zu verarbeiten. Stahl und
Schrott waren die authentischen Materialien, die sie auf dem
Gelände selbst fanden. Bei ihren Arbeiten zählte lediglich die
Kunstaktion selbst, kommerzieller Erfolg war Nebensache. Die
Künstler planten von vornherein eine zeitliche Begrenzung der
Aktionen ein. Wichtig war allein die Lust am künstlerischen
Arbeiten und die in diesem Zusammenhang stattfindenden
Performances und Happenings.
Sehr früh stellte sich jedoch heraus, daß sich in den 50 Jahren
der unterschiedlichen deutschen Entwicklung nicht nur eine je
unterschiedliche Gesellschaftsform, Architektur und Kunst
entwickelt hatte, sondern auch unterschiedliche Sprach- und
Kommunikationsregeln. Auch im Tacheles, das den darin Arbeitenden
oft wie ein Mikrokosmos der ganzen Gesellschaft erschien, war
eine Verständigung anfangs enorm erschwert. Die Worte ein und
derselben Sprache waren mit unterschiedlichen Emotionen und einem
völlig differenten Verhaltenskodex im Bereich der Ökonomien
besetzt. Dies führte immer wieder zu Missverständnissen und
Abgrenzungen. Viele Künstler, die aus beiden deutschen Staaten
gekommen waren und zunächst ihr Schaffen in diesem Haus in der
alten Mitte Berlins gemeinsam begannen, gingen auf der
ökonomischen Ebene sehr schnell wieder getrennte Wege.
Die verbindende Gemeinsamkeit - das Haus selbst - blieb jedoch
als Basis für alle Künstler bestehen. Trotz der weiterhin
ungesicherten Rechtsposition etablierten sich in der Folgezeit
eine ganze Reihe unterschiedlicher Einrichtungen in der Ruine an
der Oranienburger Straße. Die Gewichtsverlagerung von der
spontanen Kunstaktion zu einem stetigen Kulturbetrieb schildert
auch eine 1997 vom Trägerverein "Tacheles e.V."
herausgegebene Broschüre, jetzt stehen Sicherung und Ausbau des
Standorts im Mittelpunkt: ..Seitdem (seit der Besetzung
1990) wird das denkmalgeschützte Gebäude in Eigenleistung
instandgesetzt und zur Präsentation und Produktion von Kunst
genutzt"... Als Kunst- und Kommunikationszentrum, Aktions-
und Veranstaltungshaus hat sich das Tacheles - teils gegen nicht
wenige Widrigkeiten - zu einer festen Adresse im Berliner
Kulturleben entwickelt, deren Ausstrahlung durchaus auch über
die engen Kreise der umliegenden Szene hinausgeht.
METROPOLIS BERLIN - HOCHGESCHWINDIGKEITSARCHITEKTUR
In den Jahren 1996 und 1997 wurden gemeinsame Überlegungen zu
Erhalt und zukünftiger Gestaltung des Areals der ehemaligen
Friedrichstraßen-Passage in vier Veranstaltungen der
Diskussions-Reihe "Metropolis Berlin,
Hochgeschwindigkeitsarchitektur" öffentlich mit Künstlern
des Tacheles, Politikern, Soziologen und Architekten diskutiert.
Man versuchte dabei, Wege zu finden, die das Haus weiterhin
öffentlich und künstlerisch unabhängig aufrechterhalten und
zusätzlich auch die historische denkmalgeschützte Substanz
sichern sollten. Es wurde dafür ein Sanierungsmodell für das
gesamte Areal der ehemaligen Friedrichstrassen-Passage in Form
des "Work in Progress" gefordert.
Viele Stimmen bestätigten hierbei, daß das öffentliche
Interesse an einer Mitgestaltung des zukünftigen Lebensraumes in
Berlin-Mitte für verschiedene soziale Schichten von starker
Bedeutung sei. Das Gelände der ehemaligen
Friedrichstrassen-Passage stand dabei im Mittelpunkt der
Diskussion, da es sich - geographisch bedingt - durch den
Regierungsumzug zu einem Dreh- und Angelpunkt der
Umstrukturierung der gewachsenen Bevölkerung aus der Spandauer
Vorstadt und der neu entstandenen Kulturszene zu entwickeln
drohte. Es wurde befürchtet, daß das zentral gelegene
historische Quartier der Spandauer Vorstadt mit seinen vielen
Denkmalobjekten und der Kunst-Ruine Tacheles als eine geeignete
Kulisse für die neue ausgewechselte Bewohnerschicht verfügbar
gemacht werden sollte und daß damit die spezifisch
herausgebildete Vitalität dieses Quartiers verloren ginge.
Die Künstler forderten deshalb damals eine öffentliche
Diskussion zum Bebauungsplan des Areals, die zu einem
zukunftsfähigen Ergebnis führen sollte. Darunter verstanden die
KünstlerInnen eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der
heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten der
künftigen Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse
zu befriedigen und ihren eigenen Lebensstil zu wählen.
TEXTAUSZUEGE
http://www.dhm.de/museen/berlin-mitte/tacheles.htm